Im Interview mit Sounds & Books spricht die junge New Yorker Songwriterin Nikita Lev über ihre anstehende Debüt-EP, ihre Texte und die klassischen Vorbilder
Interview von Ullrich Maurer
Obwohl die New Yorker Songwriterin Nikita Lev schon mit zehn Jahren anfing, eigene Songs zu schreiben, bis heute schon über 200 auf Tasche hat und 2021 mit 17 ein erstes Album herausbrachte – das sie aber gleich wieder zurückzog, weil sie dachte, dass sie das noch besser hinbekommen könnte – ist sie als Recording Artist offiziell erst seit letztem Jahr aktiv. Im Februar 2023 veröffentlichte sie ihren ersten „fertigen“ Track „Elegance“ und seither eine Reihe von stilistisch bemerkenswert breit gefächerten, organischen Indie-Pop-Songs von denen sich drei nun auch auf ihrer Debüt-EP „I Believed It At The Time“ befinden – natürlich auch der Track „Now I Think Of You Unspeakably“, den Sounds & Books bereits im Februar dieses Jahres zum Song des Tages kürte.
Nikita Lev kann mit Anfang 20 sicherlich noch nicht über einen Fundus an coolen Rock’n’Roll-Stories, Erfahrungen im Rock-Biz oder eine gar wechselvolle Laufbahn verfügen – es lohnt sich aber dennoch, sich ein Mal mit der jungen Songwriterin zu unterhalten, denn bereits jetzt sucht sie sich einen eigenen künstlerischen Weg, der dann auch auf einer soliden handwerklichen Basis steht. Beispielsweise indem sie sich als Vorbilder anstatt Zeitgenossinnen lieber versierte Kollegen aus der gesamten Rock-Historie zusammen suchte – von Joni Mitchell über Elliott Smith bis hin zu Nine Inch Nails und Led Zeppelin. Außerdem scheint Nikita Lev mit einer geradezu ansteckenden, authentischen Begeisterung in ihrem Tun aufzugehen – was schon mal eine gute Voraussetzung ist, um sich in dem Metier durchsetzen zu können.
Die Klassiker als Vorbild
Nikita, Du scheinst ja ganz andere Inspirationsquellen zu haben, als viele Deiner Zeitgenossinnen, die nichts anderes im Sinn zu haben scheinen, als die nächste Phoebe Bridgers werden zu wollen. Woran liegt das denn?
Nikita Lev: Das ist eine gute Frage. Ich mag natürlich auch Phoebe Bridgers – sie ist großartig – und ich mag auch zeitgenössische Musik, aber ich bin doch eher von der Musik der 70er und 90er beeinflusst, denn ich bin in einer sehr musikalischen Familie aufgewachsen. Das kann dann klassische, folky Musik sein – aber auch Rock’n’Roll wie Led Zeppelin oder Radiohead. Ich mag generell auch Bands, die Folk und Rock miteinander verbinden und die sehr gut darin sind, mit viel Textur in ihrer Musik zu arbeiten. Ich mag aber vor allen Dingen auch gute Texte. Ich denke zum Beispiel, dass Joni Mitchell eine der besten Texterinnen überhaupt ist. Mir ist klar, dass sie in dieser Hinsicht eine Inspiration für viele ist.
Welche Rolle spielen denn in diesem Zusammenhang überhaupt Inspirationen, Stile, oder Genres für Dich?
Nikita: Ich denke, dass ein bestimmtes Genre nichts ist, über das ich besonders viel nachdenke, wenn ich einen Song schreibe. Ich mag Rock’n’Roll und Indie ja deswegen so gerne, weil es dort so viele Möglichkeiten gibt. Der Stil ergibt sich für mich erst, wenn ich den Song aufnehme. Wenn sich dann beispielsweise ein Song druckvoller und lauter anfühlt, dann gehen wir in diese Richtung. Aber die Produktion als solche definiert dann das Genre.
Und wie funktioniert so etwas praktisch? Immerhin gehen ja die meisten Deiner KollegInnen dann doch mit einer festen Vorstellung ins Studio.
Nikita: Na ja, man kann dann ja vielleicht einen Song mit traurigem Text im Studio sowohl fröhlich, wie auch melancholisch machen. Es kommt immer darauf an, welche Akkorde man unterlegt. Das kann sich aber alles verändern. Ich denke mir zunächst eine Zielrichtung aus, bin dann aber im Studio durchaus offen für das Input von Anderen. Ich vertraue dem Instinkt der Leute im Studio, denn die haben mehr Ahnung von ihrem Metier als ich. Ich bin dann auch bereit, mal seltsam erscheinende Dinge auszuprobieren, denn wenn sie verstehen, was ich möchte, dann funktioniert auch so etwas. Deswegen arbeite ich gerne mit verschiedenen Produzenten zusammen, denn sie sind alle auf ihre Weise sehr talentiert.
Nikita Lev Zwischen Text und Struktur
Das bringt uns zu einem interessanten Punkt. Nikita Levs Songs sind teilweise recht ungewöhnlich – oder wie sie sagt ’seltsam‘ – strukturiert. Oft wird das Strophe/Refrain Schema aufgebrochen, manchmal gibt es mehrere Refrains und zudem überraschen die Stücke oft mit brillant ausformulierten Bridges, die dem Song dann noch mal einen besonderen Push verleihen. Auf der EP kommen dann noch Songs wie der Opener „Across The Street“ hinzu, die ganz ohne Struktur auskommen.
Woran liegt es denn, dass Du Deine Songs so ungewöhnlich strukturierst?
Nikita: Na ja, das liegt eher daran, dass ich meine Texte in ein Format bringen muss. Mit geht es zunächst um die Texte. Die sind die treibende Kraft hinter meinen Songs. Manchmal bin ich mir unsicher, ob es nicht vielleicht sogar zu viel wird und dass ich zu viel erkläre oder zu viele Worte habe – aber nur so kann ich mich ausdrücken. Ich denke, dass ich zunächst eine Songwriterin bin und erst dann eine Musikerin. Musik ist für mich nur der Weg, meine Gefühle auszudrücken. Es gibt sicherlich Künstler, die ich verehre und die gut mit Melodien umgehen können und die Melodien auch als erstes schreiben können und die Texte dann später. Für mich ist aber der Inhalt das, was den Song ausmacht. Das heißt aber nicht, dass das dann das Wichtigste am fertigen Song ist – aber der Grund, warum ich überhaupt einen Song schreibe, ist definitiv der Text.
Erklärt das dann vielleicht auch die eher lineare Struktur der ersten beiden Tracks auf der EP, „Across The Street“ und „Raw“ – die ja praktisch ohne melodischen Kern auskommen?
Nikita: Ja – diese Songs sind in dieser Hinsicht sehr interessant. Led Zeppelin waren definitiv ein Einfluss für die Struktur von ‚Across The Street‘. Ich liebe aber zum Beispiel auch den Song ‚Raw‘ – weil er eben so rau ist. Strukturell sind diese Songs schon sehr einfach – aber in meinem Kopf haben sie durchaus Strophen und Refrains. ‚Raw‘ hat sogar so etwas wie eine Bridge – diese Elemente sind aber sehr subtil. Ich habe mich auch noch nie damit gebrüstet, nach eingängigen Refrains zu streben – denn ich habe ja immer so viel zu erzählen. Ach ich weiß nicht. Man erzählt mir immer, dass meine Melodien so unerwartet seien – aber doch irgendwie eingängig. Ich schätze, ich muss mich da einfach auf meine Instinkte verlassen.
Songs über nuancierte Momente
Kommen wir mal zu den Songs selbst. Hier beschreibst Du ja Situationen, in denen Menschen nicht zueinander finden können, enttäuscht voneinander sind, sich etwas vormachen, sich trennen oder sich auf sich selbst zurückziehen. Was ist denn der Grund für diesen Ansatz?
Nikita: Na ja – ich habe solche Situationen im letzten Jahr selber durchgemacht. Das war ganz schön heftig und hat mich lange beschäftigt. Weißt Du – ich mache mir schnell Sorgen über solche Sachen. Sowas findet schnell Zugang zu meinem Hirn und setzt sich dort fest. Solange nicht genügend Zeit vergangen ist, kann ich nicht aufhören, darüber nachzudenken. Das ist definitiv dann etwas, worüber ich schreiben muss. Die Sache ist dabei die, dass ich es nicht mag, immer wieder über das selbe Ereignis zu schreiben. Ich bin allerdings inspiriert von Songwritern, die immer über Herzschmerz und Sehnsüchte schreiben – was ich gut verstehen kann.
Ich selbst will mich aber nicht wiederholen. Ich mag eher die nuancierten Momente solcher Situationen und ich mag die spezifischen Details – über die ich dann auch schreibe. Nimm zum Beispiel den Song ‚Raw‘ – das war eine Situation, die mir so passiert ist – ich habe auf unschöne Art einen Korb bekommen. Ich war wütend über dieses spezifische Gefühl und den spezifischen Rahmen in dem sich das Geschehen abspielte und wie ich mich danach gefühlt hatte. Das war für mich eine unglaublich enttäuschende Situation und fühlte sich an, wie hinzufallen nachdem ich zuvor für einige Monate mit dem Kopf in der Luft herumgelaufen war.
Dir geht es dann aber offensichtlich nicht darum, die Geschichte hinter diesem Song zu erzählen, sondern die Emotionen über die Musik zu interpretieren, richtig?
Nikita: Ja, ganz genau. Das heißt: Ich erzähle schon irgendwie Geschichten, aber nicht im klassischen Sinne. Für mich fühlt sich das oft an wie eine Konversation mit der Person, an die ich mich in den Songs richte.
Sind das dann alles autobiographische Elemente, auf die Du zurückgreifst – oder arbeitest Du auch mit Fiktion oder Überhöhungen?
Nikita: Das versuche ich zumindest. Wenn mir zum Beispiel eine Zeile einfällt, die nicht wahr ist, aber gut klingt, dann verwende ich sie dennoch – einfach weil das gutes Schreiben ist. Weil ich aber von meinen Gefühlen und Gedanken und Erlebnissen inspiriert bin, ist das meiste schon originär. Ich bin aber auch nicht dagegen, mir Sachen auszudenken und auszukleiden. Nimm zum Beispiel den Song ‚Adrian‘: Das ist eine Art Folk-Song, der zwar durchaus von etwas inspiriert ist, das ich gehört habe – aber ich kenne zum Beispiel niemanden namens ‚Adrian‘. Im Wesentlichen geht es in dem Song um das Gefühl, die Stadt, in der ich gelabt habe zu verlassen. Das war schon ein emotionales Gefühl, was ich dann aber dazu verwendet habe, eine andere Geschichte daraus zu machen.
Nikita Lev als Schauspielerin?
Gleich in mehreren Songs gibt es ja Andeutungen darauf, dass Du Dich als Schauspielerin siehst – bzw. die Charaktere in den Songs Dich so wahrnehmen. Was hat es denn damit auf sich?
Nikita: Oh – ich liebe es zu schauspielern. Ich bin mit der Schauspielerei aufgewachsen. Meine Mutter hat am Theater gearbeitet und war auch eine Schauspielerin. Ich würde gerne mal schauspielern – aber es ist nichts, was ich anstrebe, weil Musik meine Hauptbeschäftigung ist. Ich habe auch Freunde, die Filme machen wollen und ich springe gerne ein, wenn mich jemand fragt. Aber ich möchte keine Karriere daraus machen.
Na ja – als Musikerin muss man ja auch manchmal Rollen spielen, oder?
Nikita: Oh ja – ich mag das auch, wenn Leute so etwas in der Musik machen – eine Rolle in einer Show zu spielen. Ich bin sowieso immer schon eine Performerin gewesen. Schon als Kind bin ich mit einer Perücke und High Heels durch die Wohnung getanzt. Ich denke aber, das ist was für später – wenn ich mal mit einer Band zusammen auftrete und visuelle Möglichkeiten habe. Bis dato bin ich nämlich immer Solo aufgetreten – und da gibt es wenig Möglichkeiten, eine richtige Show zu machen.
Was ist die größte Herausforderung für Dich als Musikerin zu arbeiten – insbesondere unter dem Aspekt, dass so ziemlich alles schon mal ausprobiert worden ist und man ja irgendwie seine eigene Identität finden muss.
Nikita: Das ist vielleicht sogar die größte Herausforderung – seine eigene Identität zu finden – einfach weil es so viel von allem gibt. Es gibt auch noch so viel zu lernen, so viel, von dem man sich inspirieren lassen kann, so viel, was man empfinden kann. Es gibt eine solche Fülle von Emotionen die ich fühlen und vermitteln möchte. Ich versuche zu lernen, meine Ambitionen zu destillieren, und mich auf eine einzige davon zu konzentrieren. Ich habe nämlich diese Tendenz – wie bei vielen Dingen in meinem Leben – immer alles auf einmal erfassen zu wollen; und das ist definitiv eine Schwäche, weil mich das zuweilen schon überwältigt. Es gibt immer so viele Sachen, die ich erreichen und tun möchte und ich muss lernen das unter Kontrolle zu bringen und die Sachen Schritt für Schritt anzugehen.
Wie geht es nun weiter? Ist vielleicht ein Longplayer in Planung?
Nikita: Nein – denn erst mal muss die EP erscheinen. Dann sehen wir mal weiter. Ich arbeite gerade daran eine Europa-Tour für den Winter zusammenzustellen und ich schreibe auch konstant neue Songs. Aber eine LP ist zur Zeit noch nicht in Planung.
Die EP „I Believed It At The Time“ von Nikita Lev erscheint am 31.07.2024 auf dem Label „Groover“. Eine Europa-Tour mit sechs Terminen in Deutschland ist für den November geplant, darunter am 22.11. im Hamburger Indra – weitere Infos sind auf der Homepage von Nikita Lev erhältlich. (Beitragsbild von Marcus Maddox)